Verantwortung im Umgang mit Geschichte übernehmen – das ist die Kernbotschaft der Rede Johano Strassers bei der Freitagskundgebung gegen den Nazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf gewesen.

Von Guido Scholl

Der ehemalige Vorsitzende des P.E.N.-Clubs sprach vor dem Wincklerbad zu weit mehr als 100 Bad Nenndorfern und zahlreichen weiteren Menschen von außerhalb, die das Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ unterstützten.
Der 1939 in den Niederlanden geborene Politologe und Schriftsteller könnte sich wegen seiner Abstammung leicht aus der Verantwortung nehmen, wie er selbst sagte. Doch er sei mitverantwortlich dafür, dass mit dem, was geschehen ist, sorgsam umgegangen wird. „Wenn ein Volk sich seiner Geschichte stellt, dann der ganzen“, so Strasser. Nichts habe so sehr zum Ansehen Deutschlands beigetragen wie der Wille, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten.

Die Kurstadt erhielt ein uneingeschränktes Lob des Hauptredners: „Ich gratuliere der Stadt zu ihren Bürgern.“ Dazu, dass die Polizei Menschen „um des lieben Friedens willen“ zum Umsiedeln rät, werde es in Bad Nenndorf nicht kommen. Damit spielte Strasser auf die Entwicklung mancher Gegenden in Ostdeutschland an, wo die Bevölkerung Neonazis gewähren lassen habe. In solchen Gegenden lege sich „ein Schleier des Hasses und des Misstrauens“ über ganze Städte und Dörfer.

Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bad Nenndorf, Marina Jalowaja, erinnerte an das Schicksal Anne Franks, die im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet worden war. Das junge Mädchen hätte zur großen Schriftstellerin heranwachsen können, so Jalowaja. Jene, die die Ideologie der Mörder von damals in Bad Nenndorf verbreiten wollen, hätten lediglich im Sinn, von den Gräueln des Nationalsozialismus abzulenken, wenn sie die Opfer der Folter im Wincklerbad in den Fokus rücken. „Die Nazi-Vergangenheit darf nie wieder Gegenwart werden“, mahnte Jalowaja.

Jürgen Uebel, Vorsitzender von „Bad Nenndorf ist bunt“, hatte zuvor auf den Erfolg verwiesen, dass die Bahnhofstraße nazifrei bleibt. Und dass daher die Jüdische Gemeinde ihre Sabbatfeier begehen kann, ohne die Feinde vor der Tür zu haben.
Kritik übte er am Gerichtsurteil, dass den Neonazis 100 Meter mehr Aufmarschstrecke und den Weg bis zum Eingang des Wincklerbads zugesprochen, dem Bündnis aber vier Stunden Kundgebungszeit genommen habe. Auch Strasser hatte sich eine Spitze in dieser Richtung erlaubt: Manche Gerichte und Ministerien seien „auf dem rechten Auge vielleicht nicht blind, aber sehschwach“, sagte er.

sn-online.de vom 03.08.2013